„Benjamin hat die Fotografien als Bilder wahrgenommen, über die geschrieben wurde, zugleich hat er sie beschrieben, über sie geschrieben, sie überschrieben.“
Wenn man diesen Satz liest, ist man auf Seite 146 in dem Buch von Jessica Nitsche angekommen, das ursprünglich als Dissertation publiziert wurde.
„Ich gehe daher der Frage nach, wie die Fotografie sowohl in Form materieller wie auch theoretischer Bilder in das Denken des Autors eingreift, um auf diesem Weg den Bogen zwischen seinen medientheoretischen Überlegungen und seinen literarischen Arbeiten zu schlagen.“
Und so bewegt sich die Autorin in allen Texten Benjamins und schaut nach Verknüpfungen und Schnittstellen und danach, was andere seiner Zeitgenossen und die Nachwelt dazu geschrieben haben.
Eugene Atget war der Fotograf, an dem sich Walter Benjamin vorrangig abarbeitete. Daher werden dessen Fotografien auch als Fotos vielfach in dem Buch wiedergegeben und darüber hinaus in diesem Kontext besprochen.
Was verändert sich eigentlich für die Kunst, wenn Kunstwerke durch die Fotografie reproduzierbar werden?
Diese Frage gehört zu den Gedanken, die Benjamin einen ewigen Platz in der Geschichte der Kunst sichern werden. Neue Techniken verändern den sozialen Umgang mit Kunst.
Bis heute ist dies eines der großen Themen der Fotografie, weil man heute vorrangig nur noch mit Fotokunst etwas verdienen kann. Und aktuelle Antworten auf die Frage finden sich bei Verkaufsportalen von Gegenwartskunst ebenso wie bei den großen Anlageformen von Geld als Fotokunst.
Das Buch bewegt sich dann zwischen Themen wie auratisch und Aura, Bilderräumen, Schwellen und vielem mehr, deren inhaltliches Verständnis bei Benjamin und dessen Abgrenzung gegenüber anderen breit dargestellt werden.
Gegen Ende des Buches kommen wir beim „Jetzt der Erkennbarkeit“ von Walter Benjamin an.
Diese Erkennbarkeit hat dann aber wiederum nichts mit Fotografien zu tun sondern mit ihrer Negation. Das sollte aber jeder selbst lesen und daher gehe ich in der Rezension nicht weiter darauf ein.
Jessica Nitsche hat uns ein Buch geschenkt, das so gut wie alles, was mit Fotografie bei Walter Benjamin zu tun hat, aufführt und verknüpft.
Bernd Kiefer hat in seiner Rezension des Buches sogar geschrieben: „Benjamins Fragment gebliebene intendierte Theorie der Moderne – und es ist das Verdienst der Arbeit von Jessica Nitsche, dies en détail aufgewiesen zu haben – ist eine mediale, eine fotografische Theorie.“
Das mag im Wissenschaftsbetrieb wichtig sein. Das kann ich nicht beurteilen. Wenn man aber ein Buch will, das am Beispiel einer Person die Entstehung und gedankliche Entwicklung der Fotografie von der Erfindung bis zum zentralen Medium im 20. Jhrdt. darstellt, dann ist das Buch ebenfalls äußerst empfehlenswert.
Die klare Gliederung hilft, zwischen eher universitären Fragen und eher fotografisch und sozial interessanteren Fragen auszuwählen und die gesamte Gestaltung des Buches macht aus diesem Buch ein Fotobuch und ein Fachbuch.
Es ist im Kulturverlag Kadmos erschienen und ein gutes Geschenk.
Jessica Nitsche: Walter Benjamins Gebrauch der Fotografie. Berlin [Kadmos] 2011, 371 Seiten, 39,80 Euro.